24. Jan 2024
InKinosion zeigte „Nebel im August“ in der Stadtbibliothek Viersen – einen Film über Euthanasie – mit anschließendem Gespräch mit Manfred Budel von Förderung der Erinnerungskultur e.V. Viersen 1933-45
126 Minuten ging der Film. Es waren 126 Minuten, die den einen mit Tränen in den Augen, die andere einfach sprachlos zurückgelassen haben. Es ist einer der ganz wenigen Filme, die sich mit diesem, uns ganz nahmen Thema befasst.
Der Film ist nach einer wahren Begebenheit erzählt. Der Film handelt vom 13-jährigen Ernst Lossa, Sohn fahrender Händler und Halbwaise. Er ist ein aufgeweckter aber unangepasster Junge. Die Kinder- und Erziehungsheime, in denen er bisher lebte, haben ihn als „nicht erziehbar“ eingestuft und schieben ihn schließlich in eine Nervenheilanstalt ab. Nach kurzer Zeit bemerkt er, dass unter der Klinikleitung von Dr. Veithausen Insassen getötet werden. Er setzt sich zur Wehr und versucht, den behinderten Patienten und Mitgefangenen zu helfen. Letzten Endes wurde Ernst Lossa selbst Opfer des Euthanasie-Programms.
Manfred Budel stand nach dem Film für ein Gespräch mit Kolllegen André Sole-Bergers zur Verfügung.
André:
Manfred und ich kennen uns bereits seit mehreren Jahren, weshalb wir uns Duzen. So frage ich Dich, wie war der Film für Dich?
Manfred Budel:
Ich habe mich über ein Jahr sehr intensiv mit der Thematik beschäftigt, aufgrund unserer Ausstellen „Euthanasie und Zwangssterilisation in Viersen“. Diese Ausstellung ist zurzeit im LVR-Klinikum zu sehen. Auch nach Jahren der Recherche bewegt mich dieses authentische Schicksal enorm.
André:
Der Film ist von 2016. Es hat so lange gebraucht, bis Euthanasie Thema eines Spielfilms wurde. Meine Frage nach dem Film war, hätte die Kirche eigentlich damals etwas verhindern können?
Manfred Budel:
Die Kirche hatte sich damals arrangiert. Es gab zwar einzelne Personen als Ausnahmen, aber durch das Arrangieren wurde die Kirche von den Nazis in Ruhe gelassen. Für die Opfergruppen hat man sich nicht stark gemacht oder stark machen wollen. Die Kirche hätte aus meiner Sicht die Macht gehabt, um die Gräueltaten der Nazis zu verhindern oder zu stoppen.
André:
Wie war es im Kreis Viersen zu dieser Zeit?
Manfred Budel:
Von den insg. 200.000 Opfern des Euthanasie-Programms, sprich Menschen mit Behinderung, Kranke, Arbeitsscheue, Alkoholiker, usw. waren gut 5.000 Kinder. In Waldniel-Hostert wurden in der „Kinderfachabteilung“ zwischen 1942 bis Mitte 1943 nachweislich 99 Kinder ermordet – am Ende jeden Tag eins. Nach der Schließung wurden die restlichen 150 Kinder „verschickt“ und ihr Schicksal verschleiert.
Häufigste Todesursache war Marasmus = Verhungern. Was im Film anschaulich gezeigt wurde. Die Menschen bekamen Essen ohne Nährwert. Die sogenannte E-Kost, was im Ganzen Entzugs-Kost hieß. Man verhungerte mit vollem Magen.
Des Weiteren waren vorsätzlich herbeigeführte Lungenentzündungen und gezielte Überdosierungen von Medikamenten die Gründe für Todeskämpfe über mehrere Tage.
André:
Wie läuft heutzutage Deine Recherche ab. Wie wirst Du in den Archiven empfangen?
Manfred Budel:
Direkt nach dem Krieg wurde schnell gesagt: „Irgendwann muss es ma juut sein!“ Einzelne Archive berufen sich auf Persönlichkeitsrechte. Da ich Jurist bin, weiß ich mir da selbst zu helfen. Am hilfreichsten ist das Bundesarchiv.
Gast:
Das geringe Strafmaß für die Täter ist erschütternd. War das die Regel?
Manfred Budel:
Nur 30 Personen wurden in Deutschland aufgrund dieser Verbrechen verurteilt. Viele bekamen in einer Revision recht und eine mildere Strafe. Der verantwortliche Arzt in Hostert, der Massenmörder Hermann Wesse, erhielt zwar 20 Jahre. Doch danach fand er direkt eine gute Arbeitsstelle in der Pharmaindustrie. Das war keine Seltenheit. Manche wurden sogar Professoren für Medizin-Ethik oder waren Gutachter in Entschädigungsprozessen der Opfer bzw. deren Angehörigen.
Gäste gaben noch Buchtipps. Zum einen die gleichnamige Biografie als Buch „Nebel im August“ von Robert Domes. Zum anderen „Das Kind ist nicht abrichtfähig“ von Andreas Kinast, das die Geschichte der Opfer in Waldniel-Hostert beleuchtet.
André:
Vielen Dank an alle. Bernd Höcke von der AFD meint, dass Inklusion nur ein „Ideologieprojekt sei, von dem das Bildungssystem befreit werden müsse“. Es ist 5 vor 12. Sprechen wir mit unseren Freunden und Angehörigen darüber, damit es nie wieder passieren mag.
Zum Abschluss bedankte sich André Sole-Bergers im Namen des Teams bei Manfred Budel von Förderung der Erinnerungskultur e.V. Viersen 1933-45 und bei derVolksbank Viersen eG, für die finanzielle Unterstützung.
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